Eine Stunde kann den Unterschied machen. Eine Stunde, in dem ein System, eine große Gruppe, eine Organisation erkennt, dass es andere, vielversprechendere Wege im Miteinander gibt. Natürlich braucht Veränderung Zeit, oft viel Zeit. Aber der Beginn, der Auftakt, findet meist innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne statt, beispielsweise innerhalb einer Stunde. In solch einer Stunde wird eine mögliche Zukunft konkret erfahrbar, in der die Akteure sich, andere und das gemeinsame Miteinander neu erfahren können.
Idealerweise verbinden sich in einer solchen Stunde vier Erfahrungsqualitäten:
• Die Erfahrung der Zugehörigkeit,
• die Erfahrung des Gehörtwerdens,
• die Erfahrung kollektiver Wirksamkeit,
• und die Erfahrung tieferer Einsicht.
Die Erfahrung der Zugehörigkeit
Am Ende eines Verbandstages mit 80 Handwerksunternehmern kam ein gestandener Meister auf mich zu und bedankte sich spürbar berührt: „Ich bin ein schüchterner Mensch, mir fällt es schwer, auf andere zuzugehen. Heute war ich das erste Mal seit Jahren hier mit anderen im Gespräch und habe so etliche Kollegen neu kennengelernt. Das war toll für mich!”. Ein ähnliches Feedback kam von einer jüngeren Frau, die sich in der Gruppe sehr aufgehoben fühlte. Wie alle anderen Teilnehmer waren die beiden innerhalb einer Stunde mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen im Gespräch und waren dabei innerlich angekommen.
Die Erfahrung des Gehörtwerdens
Während dieser Tagung konnte ich über den Tag verteilt drei einzelne Stunden moderieren, jede mit einem anderen Thema. Die erste Stunde war dabei die wichtigste, sie setzte den „Ton“. Essentiell ist es, bei solchen Eröffnungen dafür zu sorgen, dass wirklich alle ins Gespräch kommen, auch die Introvertierten, die Schüchternen, die Stilleren. Und mindestens ebenso wichtig: Dass Zuhören wie von selbst praktiziert wird, sowohl innerhalb der Kleingruppen, die den Raum füllen als auch in der Gesamtgruppe, wenn dort Ergebnisse einzelner Kleingruppen hörbar werden. Ungefähr gleiche Redeanteile haben eine nicht zu überschätzende Wirkung auf den individuellen Eindruck, dazu zu gehören und beitragen zu können.
Die Erfahrung kollektiver Wirksamkeit
Richtig überzeugend wird es dann, wenn Ergebnisse sichtbar werden. Wenn große Gruppen hautnah erleben, dass sie in kurzer Zeit gemeinsam quantitativ und qualitativ gute Ergebnisse produzieren, erfahren sie ihre Wirksamkeit, ihr gemeinsames Potenzial. Für viele von uns sind große Gruppen entweder mit Passivität verknüpft oder noch schlimmer mit zermürbenden basisdemokratischen Diskussionen. Dass es auch ganz anders geht, alle zu Wort kommen und dass dies gleichzeitig zielstrebig und effizient organisierbar ist, spricht sich erst langsam herum. Entsprechend beeindruckt sind Gruppen dann von dem Prozess und sich selbst.
Die Erfahrung tieferer Einsicht
Die vierte Erfahrungsqualität beschreibt einen gemeinsamen „Aha“-Effekt, ein Einsicht, die im gemeinsamen Denken auftauchte und dann vom ganzen Auditorium geteilt wird. Im Fall des angesprochenen Verbandstages war es die Erkenntnis, dass bestimmte Marketingmaßnahmen direkt einzustellen sind. Im Fall eines einstündigen Porzesses in einer Demokratiekonferenz mit ebenfalls über 80 Teilnehmer*innen war es die gemeinsame Erkenntnis, dass die angedachte Erklärung gegen Rassismus und für ein friedliches Zusammenleben tiefere Implikationen hat: Dass es eigentlich um Beteiligung vom Kindesalter an geht.
Eine Stunde kann den Unterschied machen. Wenn Sie darüber nachdenken, eine Stunde Ihrer nächsten Klausur oder Tagung oder … anders als gewohnt und viel interaktiver zu gestalten, kann es gut sein, dass im ersten Moment Angst und Unsicherheit aufkommen. Beispielsweise Angst davor, dass Unvorhergesehenes passiert. Seien Sie bereit, sich vom Unvorhergesehenen positiv überraschen zu lassen. Wir versprechen Ihnen, Ihre Erleichterung und Freude wird anschließend umso größer sein.
Rolf Schneidereit