Vor kurzem hat mich wieder ein Unternehmen als Kunde gebunden: Mein alter Mobilfunktarif stimmte nicht mehr mit meinem Nutzungsverhalten überein. Etwas überhastet habe ich mich auf einen neuen Zweijahresvertrag eingelassen. Nur um wenige Tage später zu bemerken, dass der versprochene „Datenturbo“ ein glatter Euphemismus ist. Schon jetzt ist der Termin für den nächsten Wechsel in meinem Kalender vorgemerkt. Und der Vertrauensvorschuss für meinen aktuellen Provider ist dabei denkbar gering.
Bindung ist eine emotionale Kategorie
Steht im Marketing Kundenbindung auf der Agenda, kommen meist technische oder vertragliche Lösungen zum Einsatz. Sie sind leicht zu handhaben und versprechen zumindest auf kurze Sicht Planungssicherheit. Nur bei den Kunden kommt dieser Fokus nicht so gut an. Wer von uns wird schon gern zwangsweise gebunden? Wirkliche Bindung kann nur von innen kommen und setzt Freiheit voraus. Bindung entsteht durch Vertrauen und ein Gefühl von Sicherheit, sich wirklich auf den anderen verlassen zu können.
Ein Weg, dieses Vertrauen zwischen Unternehmen (oder gemeinnützigen Organisationen oder Stadtverwaltungen oder ....) und den Kunden aufzubauen, sind Kundenbeiräte und Kundenforen. Sie sind Orte, an denen Kunden wirklich gehört werden, ungefiltert durch Marktforschung und Pseudo-Umfragen. Hier können Kunden den Verantwortlichen direkt mitteilen, wie sie Leistungen erleben und wo sie Unpassendes erleben. Aber auch was sie am Unternehmen schätzen. In allen Kundenbeiräten, die ich bisher mit planen und moderieren konnte, hat das bei den Verantwortlichen mehr als einen Aha-Effekt ausgelöst.
Um Kundenbeiräte und Kundenforen erfolgreich als Medium emotionaler Kundenbindung einzusetzen, sind folgende Punkte in der Planung zu berücksichtigen:
1. Aufgaben und Rolle eines Kundenbeirats
2. Zusammensetzung des Kundenbeirats
3. Teilnahme von Unternehmensvertretern
4. Gestaltung von Beiratssitzungen
5. Monitoring der Ergebnisse und Entscheidungen
6. Kommunikation mit dem Beirat
7. Kommunikation mit der Kundenöffentlichkeit
8. Kommunikation nach innen
1. Aufgaben und Rolle eines Kundenbeirats
Beiräte treffen keine Entscheidungen. Sie sind Ratgeber für die Verantwortlichen. Das gilt selbstverständlich auch für einen Kundenbeirat und ist zu Beginn klar zu kommunizieren. In erster Linie dient der Kundenbeirat der Reflexion der vorhandenen Leistungen, der Kommunikation und der Services. Er kann aber auch als Resonanzorgan Feedback zu geplanten Maßnahmen und Produkten geben und als Ideengeber neue Produkte und Leistungen mit entwickeln.
2. Zusammensetzung des Kundenbeirats
Hier gilt: Je vielfältiger und bunter ein Kundenbeirat zusammengesetzt ist, desto reichhaltiger werden seine Arbeitsergebnisse sein. Je mehr Perspektiven eingebracht werden, um so vollständiger wird das gemeinsame Bild. Vielfalt bedeutet unterschiedliche Alters- und Kundengruppen einzubeziehen. Nach einigen Jahren sollten neue Kunden in den Beirat einziehen, um neue Impulse zu bekommen. Etwa 10 bis 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind eine ideale Größe für einen Beirat. Grundsätzlich gibt es drei Ansätze der Auswahl von Beiratsmitgliedern. Der erste Ansatz ist, mit einem Aufruf sich an engagierte Kunden zu wenden. Der zweite Ansatz ist, eine Zufallsauswahl von Kunden anzusprechen, dieser Ansatz ist schon repräsentativer als der erste, setzt aber wie der dritte Ansatz voraus, dass den Kunden, die sich bereit erklären, ein Benefit geboten wird. Der dritte Ansatz zielt darauf ab, eine möglichst repräsentative Abbildung der Kundengruppen im Beirat zu versammeln.
3. Teilnahme von Unternehmensvertretern
Kundenbindung ist keine Einbahnstraße. Es geht nicht nur um Bindung der Kunden ans Unternehmen. Es geht auch um die Bindung des Unternehmens an seine Kunden. Oder genauer: Um die Bindung der Mitarbeiter an die Empfänger ihrer Arbeit. Mitarbeiter an Beiratssitzungen teilnehmen zu lassen, fördert bei diesen Einfühlung in die Kundenbedürfnisse. Kunden sind dann nicht mehr Objekte, sondern werden zu Subjekten, mit denen man mitfühlen und sich identifizieren kann. Allerdings sollte die Zahl der teilnehmenden Mitarbeiter nicht die der Kunden überschreiten. Ein Muss ist die Teilnahme der obersten Entscheiderebene. Daneben sollten verschiedene Abteilungen und Hierarchieebenen repräsentiert sein.
4. Gestaltung von Beiratssitzungen
Eine Grundregel für Beiratssitzungen lautet, nicht in eine Verteidigungshaltung zu gehen. Natürlich wird Kritik kommen, nicht damit zu rechnen, wäre naiv. Stellen Sie sich stattdessen darauf ein und gehen Sie in eine Haltung des aktiven Zuhörens. Fragen Sie nach, was genau gemeint ist und fassen das Gehörte zusammen. Fragen Sie nach jeder vorgetragenen Kritik, welche Idee der Kunde zur Lösung hat. Es hat sich bewährt, alle genannten Punkte direkt für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sichtbar festzuhalten. Nicht nur aus Eigeninteresse empfehle ich für die Moderation eine/n Externe/n zu engagieren. Sie gewährleistet Neutralität, hegt allzu heftige Kritik ein und bringt Kunden dazu, mehr in Ideen und Möglichkeiten als in Mängeln und Defiziten zu denken.
5. Monitoring der Ergebnisse und Entscheidungen
Richtig gemacht, bringt jede Beiratssitzung reiche Ergebnisse. Möglicherweise können einzelne Ideen schon in der Sitzung durch anwesende Führungskräfte entschieden werden. Die Regel ist, dass mögliche Konsequenzen erst geprüft und abgewogen werden müssen. In der Folge wird es Vorschläge geben, die das Unternehmen umsetzen will und solche, die nicht umsetzbar und abzulehnen sind. Um dem Beirat seine Wirkung zu verdeutlichen, sind die Ergebnisse der Sitzungen, die anschließend getroffenen Entscheidungen und der Stand der Umsetzung kontinuierlich zu protokollieren.
6. Kommunikation mit dem Beirat
Über diesen Prozess ist der Beirat auf dem Laufenden zu halten. Um „bei der Stange“ zu bleiben, brauchen die Mitglieder den Nachweis, dass ihre Arbeit etwas bewirkt. Schleicht sich der Eindruck ein, lediglich Feigenblatt zu sein, drohen Enttäuschung und im schlimmsten Fall Negativmeldungen, die in sozialen Medien kursieren. Das heißt aber nicht, dass die Ablehnung von Beiratsideen kritisch ist. Nach meiner Erfahrung erwarten beteiligte Kunden gar nicht, dass alles umgesetzt wird. Im Gegenteil, durch ihre Mitarbeit lernen sie die Bedingungen und Restriktionen des Unternehmens kennen und verstehen. Was Beiratsmitglieder jedoch erwarten ist eine transparente und mit Gründen versehene Kommunikation, darüber was nicht umsetzbar ist und abgelehnt wird.
7. Kommunikation mit der Kundenöffentlichkeit
Die im Beirat vertretenen Kunden sind lediglich Repräsentanten. Behandelt man einen Beirat als „Closed Shop“ wie beispielsweise die Commerzbank, sind die möglichen Wirkungen auf die emotionale Bindung aller Kunden vertan. Hier können Unternehmen von Greenpeace lernen: Die an Aktionen beteiligten Aktivisten sind oft an wenigen Händen abzuzählen, die Unterstützer gehen aber in die Hunderttausende. Stellvertretend für die Mitglieder gehen die Aktivisten ins Risiko. Andererseits könnte Greenpeace ohne intensive Kommunikation nicht die Mittel einwerfen, die für die Aktionen erforderlich sind. Übertragen auf einen Kundenbeirat: Ohne intensive Kommunikation nach außen können Kunden nicht erkennen, dass Ihr Unternehmen einen neuen Weg geht und die Stimme der Kunden ernst nimmt.
8. Kommunikation nach innen
Eine authentischere Beziehung zu Kunden steigert das Gefühl von Sinnhaftigkeit der Arbeit bei Mitarbeitern. Gerade für jüngere Mitarbeiter der Generationen X und Y ist das von Bedeutung. Wird diese innovative Form der Kundenfokussierung aber nicht kommuniziert, verpufft die Wirkung. Daher gilt für die Kommunikation nach innen ähnliches wie für die Kommunikation mit der Kundenöffentlichkeit: Beschränken Sie die Kommunikation nicht auf die anwesenden Repräsentanten, sondern adressieren sie alle Mitarbeiter. Nebenbei kann das auch noch ein schönes Projekt für die Zusammenarbeit von Marketing und HR werden.
Der gemeinsame Nenner
Kundenbeiräte und Kundenforen sind wirkungsvolle Instrumente emotionale Bindung in beide Richtungen zu entwickeln. Es gibt jedoch keine Universallösung. Kundenbeiräte können sehr unterschiedlich konstituiert sein. Es kommt auf das Unternehmen, Bedeutung und Komplexität der Produkte, regionale oder nationale Reichweite und viele Faktoren mehr an. Ein Punkt muss aber allen Ausprägungen gemeinsam sein, um zu emotionaler Kundenbindung beizutragen: Der Wille wirklich offen und transparent mit den Kunden in einen Dialog zu treten und dies nach innen und außen zu kommunizieren.
Dient auch der Digitalisierung
Wer so die Beziehung mit den eigenen Kunden intensiviert, hält gleichzeitig einen Hebel für die Digitalisierung in den Händen. Für Dr. Winfried Felser, der hierzulande intensiv für die Chancen der Digitalisierung wirbt, ist die Beziehung zu Kunden substantiell: „Kunde und Unternehmen gehen eine Wertschöpfungsbeziehung ein. Wertschöpfung kann nur gemeinsam erzeugt werden. Wertschöpfung ergibt sich aus der Qualität dieser Beziehung.” Ähnlich äußert sich Reinhard Sprenger: „Die digitale Welt wird verstärkt vom Kunden aus gedacht, nicht von internen Macht- und Kontrollinstanzen.“ Die digitale Welt mit den Kunden gemeinsam zu denken, könnte der Digitalisierung Schub verleihen. Was meinen Sie?