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Liberating Structures - Bereicherung für unseren Werkzeugkoffer

· Methoden

In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Methoden für Partizipation und Selbstorganisation entstanden. Uns scheint, dass diese neuen Instrumente Ausdruck von gesellschaftlichen Veränderungen und Bedarfen sind, die nach neuen Gestaltungsformen für das Miteinander rufen.

Nun taucht am Facilitatoren-Horizont mit den “Liberating Structures” ein weiterer Methoden-Set auf.

Die Verbreitung der Liberating Structures (LS) wird vor allem von der IT-Szene* und von Anhängern agiler Arbeitsweisen (wie Management 3.0, Scrum und Kanban) voran getrieben. Sie suchen nach neuen Kommunikationsformen und Moderationsmethoden, um “Reinventing Organisations” und agile Unternehmensstrukturen zu realisieren.

Unser Moderationsstil ist vor allem vom Art of Hosting geprägt. Aus dieser Perspektive als Art of Hosting-Practitioner möchten wir unsere Eindrücke und Beobachtungen von Unterschieden und Synergien zwischen Art of Hosting (AoH) und Liberating Structures teilen:

Was eigentlich sind Liberating Structures?

Die Liberating Structures sind aus der Wahrnehmung und Erfahrung der Wirkungslosigkeit bestehender Strukturen entstanden, die entweder zu rigide (Präsentationen, Status-Berichte, geführte Diskussionen, etc.) oder zu unorganisiert (Brainstorming, offene/nicht moderierte Diskussionen) sind. Neben neuen Ansätzen greifen LS auf existierende Methoden zurück, die zum Teil für ihre Intention angepasst wurden.

 

LS sind ein Set von (derzeit) 33 sogenannten “Microstructures”, sprich kleinen und größeren Methoden, die Teams und Gruppen helfen, ihre Kommunikations- und Innovationsprozesse zu gestalten. Zu diesen Methoden gehören beispielsweise 1-2-4-alle, 25/10 Crowd Sourcing und Open Space.

LS bieten leicht und vielseitig einsetzbare Methoden-Module, um schnell und einfach möglichst viele Menschen in Ideengenerierung und Entscheidungsfindung einzubinden.

Es gibt eine übergreifende Herangehensweise für den Einsatz von LS.

Eine Kernidee der LS ist, aus den Microstructures, je nach Zielsetzung, sogenannte “Strings” zu entwickeln. Das ist eine Aneinanderreihung einzelner Microstructures zu einem Gefüge, um den gewünschten Zweck zu erfüllen.

Beispiele für Strings finden sich hier.

Worin sehen wir Gemeinsamkeiten von LS und einer AoH inspirierten Facilitation?

Beide wollen:

- Ko-Kreation und Partizipation unterstützen,

- ein besseres Miteinander fördern,

- alle Akteure/ Mitarbeiter*innen einbinden.

Gemeinsam ist beiden Ansätzen auch die Haltung, Wissen nicht exklusiv zu behandeln, sondern frei zur Verfügung zu stellen. Sogenannte Immersion-Workshops bieten ähnlich wie AoH-Trainings auch Teilnehmer*innen und nicht so erfahrenen Hosts Gelegenheit, einzelne LS Sequenzen anzuleiten.

Was unterscheidet LS und AoH?

LS beabsichtigt, so schnell wie möglich ins Tun und Produzieren zu kommen. Es wird weniger Zeit damit verbracht, die Teilnehmer*innen mit sich selbst und den Themen vertraut zu machen oder eine gemeinsame Basis zu schaffen. Es gibt weniger Raum für die Teilnehmer*innen, im Plenum über sich selbst zu sprechen, wie es bei AoH beispielsweise in einem Circle der Fall wäre. Wesentliche Komponenten von AoH wie Four-Fold-Practice, Chaordic Path und Eight Breaths of Design sind in LS nicht erkennbar. Der Fokus liegt auf der Entwicklung neuer Strukturen im Kontrast zu den alten. Mit dem Ziel, die gleichen Themen agiler und wirksamer bearbeiten zu können. AoH fokussiert auf die Entwicklung der Haltung, und bietet Methoden und Herangehensweisen, um mit Komplexität umgehen zu können. Verstehen, Lernen, Ernten und Üben sind Wesensmerkmale von AoH. LS setzt auf Veränderung von Strukturen, auf Geschwindigkeit und Adaption, auf Agieren und Entwickeln in inkrementellen Schritten.

Wo betonen die beiden Ansätze aus unserer Sicht Entwicklung?

- LS: tendenziell auf der Ebene neuer Instrumente (für mehr Agilität und bessere Problemlösungen)

- AoH: tendenziell auf der Ebene individueller Entwicklung (als Facilitator oder Führungskraft) und Verbundenheit innerhalb der Gruppe

Gegenseitige Befruchtung und gemeinsames Lernen

In der Summe sehen wir in beiden Ansätzen Stärken, die sich sinnvoll ergänzen können. Nach unserer Definition (und Erfahrung) verbinden erfolgreiche Prozesse handfeste Ergebnisse mit der Stärkung des Miteinanders. Tragfähige Entwicklung braucht beide Ebenen: die sichtbare Ebene der Arbeitsergebnisse und die unsichtbare Ebene des wertschätzenden Miteinanders. Wenn wir die beiden Ansätze hier grob zuordnen, bereichert LS vor allem die schnelle Ko-Produktion guter Ergebnisse, während AoH besonders stark darin ist, das gute Miteinander zu entwickeln.

Wer LS live kennenlernen will, findet vielleicht eine Meetup-Gruppe in der Nähe, die meist einmal monatlich zusammentreffen. In Europa verbreiten sich Meetup-Gruppen zu LS gerade ziemlich rasant.

Hanno Langfelder und Rolf Schneidereit

Weiterführende Ressourcen von LS

Links zu Buch, Apps für iOS und Android und anderen Medien: http://www.liberatingstructures.com/bookstore/

Website (mit Link zur deutschen Version): http://www.liberatingstructures.com/

* Es gibt eine Entsprechung zwischen Software-Programmierung und den LS: Ähnlich wie in der Programmierung werden Probleme in kleine Bausteine zerlegt, für die dann Lösungen entwickelt werden, die in immer neuen Zusammensetzungen auf neue Probleme angewandt werden.